In dem Roman “So weit die Füße tragen” von Josef Martin Bauer geht es um einen deutschen Kriegsgefangenen, der nach dem Zweiten Weltkrieg 1949 aus einem ostsibirischen Gefangenenlager flieht und hauptsächlich zu Fuß eine abenteuerliche Flucht nach Hause antritt. So in etwa fühlte ich mich beim 24 Stunden Mud Masters Obstacle Run in Weeze. Tag und Nacht unterwegs, einen Sandkasten in den Schuhen und nur wenig Zeit zum Schlafen, denn es sollten ja Kilometer gemacht werden. So viele wie möglich während der 1.440 Minuten. Das war das Ziel. Und dank Sebastian, meinem unermüdlichen Supporter, knackte ich inoffiziell die 100 km, offiziell 93,9. Doch dazu später mehr.
Auf ging´s zum Mud Masters nach Weeze
Bereits seit einigen Jahren wird auf dem alten Gelände des Militärflughafens in Weeze der Mud Masters Obstacle Run ausgetragen. Bis dato war ich zwei Mal bei den “normalen” Teilnehmern dabei. Dieses Jahr versuchte ich die extremste Herausforderung, die 24 Stunden Version. Ich hatte bereits Erfahrung mit entsprechenden Teamevents, die Strapazen alleine zu bewältigen stellte mich allerdings vor ganz neue physische und psychische Herausforderungen. Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen jenseits der 20 Grad ging es mit Sebastian und jede Menge Camping-Equipment nach Weeze nahe der holländische Grenze. Bei der Parkplatzsuche gab es ein Mißverständnis, da ich dachte, die 24h Läufer bekommen einen besonderen Parkplatz in der Nähe des Campingplatzes zugewiesen. Dem war aber nicht so. Nach ein paar Unklarheiten konnten wir den Motor dann endlich abstellen. Vorbei am Campingplatz machten wir uns auf zur Registrierung. Das Anmeldeprocedere war etwas umständlich, denn erst jetzt mussten die Supporter mit Name und Telefonnummer registriert werden. So wurden ihre Daten von einem Zettel auf den Nächsten übertragen. Als dies geschafft war wurde mir ein neongelbes 24h Stunden Leibchen ausgehändigt. So waren alle Teilnehmer dieses ganz speziellen Extremlaufs auch in der Dunkelheit gut sichtbar. Anschließend ging es zurück zum Teilnehmerbriefing, das um 12.00 Uhr am Campingplatz auf englisch statt fand. Da uns alle wichtigen Informationen per E-Mail bereits übermittelt wurden, gab es keine großen Neuigkeiten. Wir mussten zu Beginn 1x den 18 km Parcours absolvieren, ehe es auf die 6 km Runde ging. Diese sollte innerhalb der 24h so oft wie möglich geschafft werden. Nach 20 Minuten waren alle Klarheiten beseitigt. Anschließend war Ausladen angesagt. Ein großer Pavillion, Feldbett, viele Wechselklamotten, Wechselschuhe, Getränke, Essen, Kocher, Klappstuhl, etc. machten mehrere Gänge zwischen Auto und Campingplatz notwendig. So sah also meine Aufwärmphase aus :-). Nach dem Aufbau des Pavillions schmiss ich mich in mein kurzes Chicken Outfit, denn Punkt 14 Uhr war der Start. Im Start/Zielbereich traf ich Alex und Rainer, die ebenfalls das 24h Abenteuer angingen. Irgendwie war das beruhigend, so waren wenigstens ein paar bekannte Leidensgenossen auf der Strecke.
Um 14 Uhr startete der Mud Masters 24 Stunden Lauf
Die 24h Läufer starteten zwischen zwei “normalen” Startwellen auf die 18 km Runde. Nach einer kurzen Einheizphase ging`s los. Die ersten Hindernisse wie “JUMP OVERS” oder “BUNKERS BUSTERS” waren flott gemeistert, dienten zum Aufwärmen. Nach einer Laufstrecke folgte “SPICY LADDER”, eine Strickleiter die die ersten kurzen Wartezeiten verursachte. Am Flugfeld entlang ging es Richtung “MUD CRAWL”. Ein Kriechhindernis, das mir zu einem späteren Zeitpunkt noch zu schaffen machen sollte. Ok, es war nicht extrem schwierig, unter dem Stacheldraht durch zu robben, nach dem x-ten Mal allerdings spürte ich es an meinen Knien, denn der Untergrund war voller spitzen Steine und Kiesel. Später zeigte sich das an den zahlreichen Schrammen die ich davon bekam. Zwischenzeitlich hatte ich mich gemeinsam mit Rainer auf ein moderates Lauftempo eingestellt, sodaß wir die unzähligen Kilometer die ersten Stunden gemeinsam meisterten. Die Strecke führte weiter zu einer ersten Kiesgrube, wo sich an der ersten Wand ein größerer Stau anbahnte. Dank unserer 24h Leibchen durften wir seitlich an der Menge vorbei. Eine kleine Annehmlichkeit, die ich gerne in Anspruch nahm und zu schätzen wußte. Danach ging es auf die andere Seite des Flugfeldes, wo uns weitere Prüfungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden erwarteten. So war das Hindernis “NET JUMP” eines, welches ich
eher in die schwierigere Kategorie einordnen würde. Man musste ein Netz, welches über einem Wasserbecken angebracht war, anspringen und unterhalb des Netzes entlanghangeln. Das erforderte einiges an Geschick und Kraft. Nach rund 8 Kilometer war es dann soweit. Wir standen vor dem ersten Hindernishighlight – “EXECUTION”.
Ein Hindernis, das einem den Magen in den Rachen wandern ließ. Die Läufer stellten sich auf eine rund 3 Meter hohe Plattform über dem Wasserspiegel. Jeweils zwei Teilnehmer mussten sich an den Rand auf markierte Felder stellen und Händchen halten. Als Rainer und ich an die Reihe kamen taten wir es unseren Vorgängern gleich. Nach einem kurzen Countdown verloren wir plötzlich den Boden unter den Füßen. Es ging auf einen Schlag abwärts. Dabei breitete sich ein gewisses Unwohlsein in meiner Magengrube aus. Eine Sekunde später erhielt ich eine angenehme, erfrischende Abkühlung, die das Gefühl urplötzlich wieder verschwinden ließ. Ein Wechselbad der Gefühle. Puh, das war echt crazy. Nach einer kleinen Schwimmeinlage erreichte ich das Ufer. Rainer und ich blickten noch einmal zurück auf die anderen “Exekutierten”, die vorwiegend schreiend ins Wassereintauchten. Der Parcour führte von einer Sandgrube zur nächsten. Und das war auch das Üble an der Strecke. Sand, Sand und nochmals Sand. Ein äußerst kräftezehrendes Terrain, wo gefühlt die Hälfte der Strecke aus feinen Mineralkörnern bestand. Hindernisse wie “HORIZON CLIMBER”, “MARINE TABLE” oder “ROPE CLIMB” zogen zusätzlich Energie
aus dem Körper. Einige Wasserlöcher und Hindernisse später ging es Richtung Campingplatz. Zuschauerfreundlich war hier der “FLYER” in einer weitläufigen Sandgrube platziert. Für mich ein Hindernis, das nicht unbedingt Begeisterungsstürme bei mir hervorruft. Denn Höhe ist nicht unbedingt mein Fall. Aber die Riesenrutsche musste bezwungen werden. Nach dem “MUD CRAWL” ging es die Stufen auf rund 10 m Höhe hinauf. Zu meinem Glück hatten wir 24h Läufer auch hier Vorfahrt, so blieb mir nicht viel Zeit zum nachdenken. Also setzte ich mich an die Kante der Rutsche, kreuzte die Arme vor meinem Oberkörper und schoß die Rutsche abwärts. Ein paar Sekunden später flog ich bereits über die Wasseroberfläche. Die Landung war etwas hart, sodaß ich beinahe mein
Chicken verlor. Dank des Gummibandes blieb es aber an Ort und Stelle. Nun waren es nur noch ein paar Meter bis zur Ziellinie und den ersten 18 Kilometern. Lediglich der “SJIZZLER”, das elektrisierende Hindernis, stand noch im Weg. Eine Kriecheinheit später war es dann vollbracht. Nach 2:54 Stunden waren die ersten 18,5 Kilometer eingefahren.
Von nun an war kräftezehrendes Rundenzählen angesagt
Fortan hieß es 6 Kilometer Runden, die gemäß der GPS- Uhr 7,2 Kilometer lang waren, zu absolvieren. Ich drehte weiter mit Rainer meine Runden, das Tempo war doch recht angenehm. Beim Hindernis “EXECUTION” wurden wir bei der erneuten Durchführung der Prozedur gelinkt. Bereits bei der Zahl 2 verloren wir den Boden unter den Füßen. Etwas unerwartet tauchten wir in das Wasser ein. Die DRKler hatten sichtlich ihren Spaß, während ich sie verfluchte. Zwischenzeitlich war die Strecke recht leergefegt. Gegen Abend drehten nur noch die 24h Läufer ihre Runden. Wir entschieden uns noch zwei weiterzulaufen ehe wir unsere erste Pause einlegten. Circa 32 Kilometern waren nach 5 Stunden geschafft. Jeder von uns ging erst mal zu seiner Unterkunft. Noch fühlte ich mich ganz fit, nahm deshalb nur einen kurzen Snack zu mir und wechselte die GPS-Uhr, wobei ich die getragene zum Aufladen an eine mobilen Akku hing. Nach der Stärkung ging es wieder auf den Kurs, Rainer hatte ich nach der Pause allerdings aus den Augen verloren. Jetzt begann die Einzelkämpferphase, denn jeder von uns hatte eine andere Fitness und somit auch Taktik. In der Nacht wurden die Hindernisse “EXECUTION” und “FLYER” aus Sicherheitsgründen gesperrt, was ich ehrlich gesagt verschmerzen konnte :-). Dafür öffnete “MONKEY CAGE”, ein Hangelhindernis, das es in sich hatte, Kraft und Zeit kostete. Man hatte die Wahl, welche Hangelstrecke man wählte, da diese unterschiedlich aufgebaut waren. Ich wählte die rechte Route. Erst kam ein Seil, anschließend eine Längsstange, auf der balanciert werden musste, dann musste man einen Ring greifen, danach folgten zwei hintereinander angeordnete Fußschlaufen. Von hier aus musste man eine am Ende eines Seiles hängende Holzscheibe erreichen, ehe man wieder an zwei weiteren Seilen zum Ende des Gerüstes hangelte. Ein Hindernis das auch Konzentration erforderte.
Nach 46 Kilometern gab es eine “märchenhafte” Pause
Einige Runden später, genauer nach 14 Kilometern und 2,5 Stunden legte ich um 21:30 Uhr eine weitere Pause ein. Das Wasser auf der Strecke kühlte langsam aber stetig meinen Körper aus. Zudem hatte ich plötzlich tierischen Hunger. Hunger auf etwas Herzhaftes. Sebastian, der mich permanent anfeuerte, schmiß eine Dose Ravioli in den Topf. Eine warme Mahlzeit. Das tat gut. Leider konnte ich mich nicht bremsen. Eine viertel Dose später hatte ich dann den Salat. Die wohlschmeckende Nudelmasse lag mir schwer im Magen. Ganz schwer. Ich kam mir vor wie der Wolf in dem Märchen “Der Wolf und die sieben Geislein”, als er merkte, dass Steine in seinem Bauch eingenäht waren. So wartete ich noch noch ein wenig und nutze die Gelegenheit, lange, trockene Laufklamotten anzuziehen. Das Völlegefühl ließ leider nicht nach. So entschied ich mich gegen 23:40 weitere Runden in Angriff zu nehmen, was mir sichtlich schwer fiel. Erst nach drei weiteren Runden besserte sich das Gefühl in der Magengegend. Ausgerüstet mit meiner wasserdichten Stirnlampe kämpfte ich mich durch die Nacht. Es war einsam, nur ab und zu traf ich den ein oder anderen Leidensgenossen. Dann nutzte ich die Gelegenheit um etwas Gesellschaft bei der Quälerei zu haben. Und so folgte eine Runde nach der anderen.
Um 3:47 Uhr war für mich dann Schicht im Schacht. Insbesondere das Wasser hatte seine Spuren hinterlassen. Trotz lauer Sommernacht frierte ich. Und das nicht zu knapp. Ich wollte nur noch raus aus meinen nassen Klamotten. In meinen Schlafsack einlümmeln und ne Mütze schlaf nehmen. Mit Sebastian vereinbarte ich, dass er mich nach 4 Stunden Schlaf wecken sollte. Ich ratze sofort weg. Unsanft wurde ich im Morgengrauen aus meinen Läuferträumen gerissen. Sebastian wollte mich zum Aufstehen bewegen. Ich dachte aber gar nicht daran den warmen Schlafsack zu verlassen. Ich war noch zu Müde um wieder in den Ring zu steigen. So zog sich die Prozedur in die Länge. Nach einem Frühstück mit Nutella und Schwarzbrot, einem warmen Grüntee ging es am Sonntagfrüh um 8:45 Uhr wieder auf die Piste. Endspurt war angesagt. Wenn man es denn so bezeichnen konnte. Und ich war überrascht. Ich fühlte mich recht fit. Die Schlafpause hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Mit viel Elan drehte ich die kommenden Runden. Gegen 11:00 Uhr bevölkerte sich die Strecke mit den ersten Sonntagsläufern. Das beflügelte mich zusätzlich, da wieder leben auf der Strecke war. Die Hindernisse “EXECUTION” und “FLYER” durften wir aus “Krampfgefahr” weiterhin auslassen. Zudem waren sie mit zuhnehmender Tageszeit wieder stark frequentiert. Na, ich hatte ja bereits mehrfach das Vergnügen.
24 Stunden MONKEY BARS
Bei den “MONKEY BARS” schaffte ich es, die kompletten 24 Stunden trockenen Fußes auf die andere Seite zu kommen. Was mich etwas Stolz machte. Und so verging die Zeit fast wie im Fluge. Rund 15 Minuten vor 14.00 Uhr überquerte ich noch einmal die Zielllinie. Recht kurzfristig entschied ich mich, eine weitere Runde zu drehen, denn es gab die Option, in 1 1/2 Stunden eine letzte Schleife zu drehen. Die Gelegenheit wollte ich dann doch wahrnehmen. So war ich insgesamt mehr als 25 Stunden unterwegs. Erschöpft, aber erstaunlich fit, überquerte ich die Ziellinie. Im ersten Moment konnte ich es nicht glauben, dass ich es geschafft hatte. Nachdem ich mich besinnt hatte verspeißte ich mit dem besten Supporter der Welt erst mal nen Burger. Im Anschluß ging es erst mal in Pavillion, wo sich die ersten Erschöpfungsanzeichen und Schrammen bemerkbar machten. Eine Zeit lang konnte ich dann gar nichts machen. Ich setzte mich in meinem Dry Robe in meinen Klappstuhl, sinnierte und fühlte eine totale Leere in mir aufkommen. Das war´s also. Ich glaube, so richtig hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht realisiert was ich vollbracht hatte. Nach einer ausgedehnten Wiederfindungsphase brachen wir die Zelte ab. Ein bewegendes Rennen war zu Ende.
Fazit: Der Mud Masters 24 Stunden Lauf war sicherlich ein Highlight meiner OCR-Laufbahn. Eine der größten Herausforderungen der ich mich bis dato gestellt hatte. Dank Sebastian konnte ich diese Challenge physisch und vor allen Dingen psychisch meistern. Vor allen Dingen nachts und in den Abendstunden war es ein Kampf gegen die Strecke und sich selbst. Es macht einen großen Unterschied, ob man beinahe alleine unterwegs ist oder auf einer belebten Strecke. Da sind regelmäßige, aufmunternde Worte des Supportes Gold wert. Ich bin froh, diese Grenzerfahrung gemacht zu haben, denn sie zeigt, wozu man in der Lage ist, wenn die Einstellung stimmt. Mal sehen, ob ich mir die Tortur noch einmal antun werde :-).



